Marine Zoologie: Vampirtintenfisch hascht nach Meerschnee-Flocken
Der seltsame KopffüsserVampiroteuthis infernalis trägt seinem Namen – "Vampirtintenfisch aus der Hölle" – nicht unbedingt Rechnung: Im Wesentlichen dümpelt er nur in der Tiefsee und harrt geduldig des nahrhaften organischen Abfalls, der auf ihn herabschneit. Dünne Filamentärmchen, deren Rolle sich Zoologen bisher nicht so recht hatten erklären können, dienen ihm dabei als geschickte Meeresschneeflockenfänger, berichten Henk-Jan Hoving und Bruce Robinson vom Forschungszentrum des Monterey Bay Aquariums nach ihren Studien.
Der Vampirtintenfisch war bereits vor über 100 Jahren während der ersten Deutschen Tiefsee-Expedition unter der Leitung des Zoologen Carl Chun entdeckt worden. Vampiroteuthis vertritt als Mittelding zwischen den achtarmigen Kraken sowie den zehnarmigen Sepien und Kalmaren einen uralten Seitenast der Kopffüßer. Seine acht Arme sind durch eine Netzstruktur schwimmhautähnlich verbunden – was die fantasiebegabten Erstbenenner an den Mantel eines Vampirs oder die Flügel der Vampirfledermäuse erinnerte – und trägt zudem die mysteriösen, mit Sinneszellen dicht besetzten und einziehbaren langen Filamentfäden.
Abfall statt Blut: Tiefseevampir spezialisiert sich auf Merschneeflocken
Hoving und Robinson zeigten nun, was das Tier mit ihnen anzufangen weiß: In der Tiefsee gefilmte sowie gefangene Exemplare, die es sich in dunklen, kalten Versuchsaquarien bequem gemacht hatten, entrollen die Filamente und haschen damit nach sedimentierenden organischen Flocken. Im Ozean handelt es sich dabei oft um so genannten Meerschnee, der vor allem aus Schleim, verrottendem totem Meeresgetier, Krebsen und Kotresten besteht. Bei Kontakt mit den Filamenten werden die Partikel flugs als transportable Kapsel weiter eingeschleimt, mit Zilien entlang der Filamente in Richtung Mund bewegt und verspeist.
Das Tier kann so auf die Kraft raubende Jagd in der Tiefsee und die dafür nötige Muskulatur verzichten – es dümpelt sauber austariert in 600 bis 800 Meter Tiefe dahin. Seine guten Augen erlauben ihm dabei offenbar, die in der Nähe herniedersinkenden, oft wegen darin verhedderter Organsimen dezent biolumineszierenden Flocken zu erkennen und abzufangen.
Diese Energie sparende Lebensweise erlaubt es den Vampirtintenfischen, in den sauerstoffarmen Wüsten des Ozeans zu existieren, die sich häufig unterhalb von dicht belebten Habitaten mit großer Primärproduktion halten. Hier profitieren die Tintenfische vom reichen Organoabfall – um die vorherrschenden Bedingungen zu tolerieren, sind allerdings zusätzliche Anpassungen nötig. So verfügen die Tiere etwa über eine besonders bindungsstarke Variante des Blutfarbstoffs Hämocyanin, also einen gerade bei geringen Sauerstoffmengen hocheffizienten Stoffwechsel. Die perfekte Anpassung an ihre Nische hat dem alten Seitenzweig der Kopffüßer offenbar erlaubt, verschiedene Wechselfälle des Weltklimas bis heute zu überstehen, die anderen alten Formen den Garaus gemacht haben.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.